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Das Fahrrad-Dilemma: Wenn Eltern plötzlich explodieren

Kennst du das? Ein nagelneues Fahrrad steht im Garten – genau das Geschenk, von dem du als Kind nur träumen konntest. Doch statt Freude kommt: „Aber ich will ein pinkes Fahrrad, so wie meine Freundin Elsa!“

Plötzlich steigt Wut in dir hoch. Bevor du es verhindern kannst, hörst du dich sagen: „Andere Kinder wären dankbar dafür!“ Später erschrickst du über deine eigene Reaktion.

Was ist da passiert? Dein inneres Kind hat übernommen.

Diese überproportionalen emotionalen Reaktionen kennen viele Eltern. Sie entstehen, wenn nicht die erwachsene, reflektierte Person handelt, sondern das verletzte innere Kind auf alte Wunden reagiert.

Was ist das innere Kind? (Einfach erklärt)

Das innere Kind ist eine psychologische Metapher für:

  • Deine frühesten Kindheitserfahrungen
  • Alte emotionale Verletzungen und unerfüllte Bedürfnisse
  • Aber auch deine ursprüngliche Lebendigkeit und Freude

Im normalen Alltag handeln Eltern meist bewusst und überlegt. Doch in Stresssituationen mit den eigenen Kindern kann das verletzte innere Kind blitzschnell die Kontrolle übernehmen. Dann reagierst du nicht mehr auf das aktuelle Geschehen, sondern auf das Echo deiner eigenen Kindheit.

Typische Trigger: Wann das innere Kind bei Eltern aktiviert wird

Diese alltäglichen Situationen können dein inneres Kind triggern:

1. Öffentliche Bloßstellung

Ein Wutanfall deines Kindes im Supermarkt oder Restaurant aktiviert alte Ängste vor Bewertung und Ablehnung durch andere. Das Kind in dir fürchtet: „Was denken die Leute über mich?“

2. Fehlende Dankbarkeit

Du planst liebevoll einen Ausflug, doch dein Kind meckert oder will nicht mit. Alte Trauer über eigene unerfüllte Wünsche aus der Kindheit taucht auf.

3. Gefühl von Ohnmacht und Kontrollverlust

Dein Kind hört einfach nicht und plötzlich gerätst du in Panik. Besonders, wenn du früh gelernt hast, dass Liebe an „brav sein“ und Funktionieren gebunden war.

4. Zeitdruck und Autonomiekonflikte

Ein Beispiel aus meinem Leben als Mutter: Meine zweijährige Tochter will trotz Regen unbedingt Sandalen anziehen, obwohl wir es eilig haben. Plötzlich bin ich nicht mehr die gelassene Mama, sondern das gestresste Kind in mir, das funktionieren muss, damit niemand enttäuscht wird.

In solchen Momenten werden wir zur Gefangenen alter Ängste und verlieren das Hier und Jetzt aus den Augen.

Der Teufelskreis: Wie verletzte innere Kinder Muster weitergeben

Wenn das verletzte innere Kind die Kontrolle übernimmt, entstehen negative Kreisläufe:

  • Alte Wunden beeinflussen dein Erziehungsverhalten
  • Negative Glaubenssätze werden ungewollt weitergegeben
  • Generationen von ungeheilten inneren Kindern geben ihre Verletzungen weiter. Oft völlig unbewusst

Die gute Nachricht: Elternschaft bietet eine riesige Chance zur Veränderung. Deine Kinder spiegeln deine blinden Flecken wider und eröffnen dir die Möglichkeit zu wachsen.

Jeder emotionale Trigger kann als Einladung verstanden werden, genauer hinzuschauen, zu verstehen und dich weiterzuentwickeln.

Inneres Kind verstehen: Was bedeutet Innere-Kind-Arbeit für Eltern?

Innere-Kind-Arbeit bedeutet nicht, als Eltern perfekt zu sein. Vielmehr geht es darum:

  • Dir deiner automatischen Reaktionen bewusst zu werden
  • Den Ursprung dieser Reaktionen zu erkennen
  • Alte seelische Verletzungen anzuerkennen und zu bearbeiten
  • Negative Muster zu durchbrechen

Das Ziel: Als Bezugsperson emotional verfügbar und authentisch zu sein – trotz eigener Verletzungen.

Selbstmitgefühl: Der erste Schritt zur Veränderung

Selbstmitgefühl ist zentral für die Arbeit mit dem inneren Kind. Dr. Kristin Neff, Pionierin der Selbstmitgefühlsforschung, erklärt: „Mit Selbstmitgefühl schenken wir uns selbst die gleiche Güte und Fürsorge, die wir auch einem guten Freund oder einer guten Freundin schenken würden.“

Selbstmitgefühl in der Erziehung bedeutet:

  • Eigene Unvollkommenheiten annehmen, ohne dich klein zu machen
  • Herausfordernde Momente akzeptieren und loslassen, dass immer alles perfekt klappen muss
  • Bewusst gut für dich selbst sorgen

Wichtig zu verstehen: Kinder brauchen keine perfekten Eltern. Sie brauchen liebevolle, wachsende und authentische Bezugspersonen.

Praktische Übung: Das innere Kind im Alltag wahrnehmen

Ein einfacher erster Schritt für mehr Gelassenheit in der Erziehung:

Wenn starke Gefühle aufsteigen:

  1. Halte kurz inne
  2. Atme tief ein und aus (3-5 Atemzüge)
  3. Sage dir innerlich: „Ich bin für dich da“

Dieser kleine körperliche Anker kann helfen, Stress zu reduzieren und eine Verbindung zu deinem inneren Kind herzustellen.

Die Wahrheit über Veränderung

Deine eigenen Verletzungen müssen nicht komplett aufgearbeitet sein, um eine liebevolle Mutter oder ein liebevoller Vater zu sein. Es reicht, wenn du bereit bist hinzuschauen.

  • Jedes Mal, wenn du kurz innehältst, anstatt zu explodieren, durchbrichst du ein Muster
  • Jedes Mal, wenn du dir selbst mit Mitgefühl begegnest, lernt dein Kind, dass Fehler menschlich sind

Alte Wunden erkennen: Wie du deine Trigger identifizierst

Das innere Kind zeigt sich täglich in deinem Verhalten. Wenn du dir deiner eigenen Vergangenheit, Gefühle und Trigger bewusst wirst, erkennst du:

  • Welche verborgenen Muster hinter deinen Reaktionen stehen
  • Wie du in belastenden Momenten bewusst neue Wege einschlagen kannst
  • Wie Selbstakzeptanz und Gelassenheit wachsen

Jede Auseinandersetzung mit deinem inneren Kind ist ein Geschenk – an dich selbst, an dein Kind und an alle nachfolgenden Generationen.

Einladung: Eine Übung für jetzt

Mini-Übung zum Schluss: Was würdest du deinem 5-jährigen Ich heute sagen, wenn du ihm oder ihr begegnen könntest?

Nimm dir einen Moment Zeit. Schließe die Augen. Und dann sag es dir – jetzt, in diesem Moment.


Häufige Fragen zum inneren Kind in der Erziehung

Kann ich mein inneres Kind verstehen und bearbeiten, während ich Kinder erziehe? Ja, absolut. Du musst nicht erst „fertig“ sein. Jeder bewusste Moment, in dem du innehältst, ist bereits ein wichtiger Schritt.

Schade ich meinem Kind, wenn ich manchmal überreagiere? Nein. Perfektion ist nicht das Ziel. Wenn du deine Reaktionen später reflektierst und mit deinem Kind darüber sprichst, lernt es wichtige Lektionen über Menschlichkeit und Fehlerfreundlichkeit.

Wo finde ich Unterstützung für Innere-Kind-Arbeit? Therapeuten mit Schwerpunkt Innere-Kind-Arbeit, Elterncoaches oder Selbsthilfegruppen können wertvolle Begleiter sein. Auch Bücher und Online-Kurse zum Thema inneres Kind bieten einen guten Einstieg.


Zusammenfassung: Die Arbeit mit dem inneren Kind ist kein Sprint, sondern eine Reise. Jeder Schritt zu mehr Bewusstheit macht dich zu einem liebevolleren Elternteil – für dein Kind und für dich selbst.